Ein- und Rückblicke

Außer dem Anfangsbuchstaben haben Berlin und Bolsena so gut wie nichts gemeinsam.

Jedenfalls fällt mir auf die Schnelle nichts ein.

Bis vor ein paar Monaten kannten wir diesen kleinen, verwunschenen Ort nicht einmal, und doch haben wir uns entschieden in weniger als drei Monaten, dorthin auszuwandern.

Mein Mann ist in der Nähe von Lucca geboren. Für ihn ist es fast ein Nachhausekommen, auch wenn seine Familie ein paar Stunden entfernt wohnt.

Nicht die schlechteste Idee!!!

Schließlich hat mein Mann lange Zeit in einem farblosen Land, indem das Essen so schal schmeckt wie seine Frau aussieht, leben müssen (Zitat meiner Schwiegermutter)

Bis jetzt war es für mich (vielleicht aus verständlichen Gründen), keine Option in Italien zu leben, aber in diesem Jahr  hat sich etwas geändert.

Die Wechseljahre hielten Einzug und offensichtllich hat mein  Hormonwechsel einen Standortwechsel mit einbezogen.

Dabei liebe ich Berlin.

Ich mag die schnoddrige Unverblümtheit der Berliner, die Cafes, in denen man sich wie in einem Wohnzimmer fühlt , den urbanen Chic und:

dass man sich  Stützstrümpfe, Gänserillete und einen Katzenkratzbaum innerhalb einer halben Stunde problemlos beschaffen kann.

Das gilt natürlich ebenso für das vielfältige kulturelle Angebot. Es macht mich frei, zu wissen, ich könnte, wenn ich wollte, auch.... wenn ich die meiste Zeit nicht will.

 

Ich bin 1983 nach Berlin gezogen, um einem piefigen Kleinstadtleben zu entfliehen.

Es war Liebe auf den ersten Blick.

Meine erste Wohnung mietete ich in Kreuzberg 36 an. Ofenheizung, eine wackelige Dusche im Vorratsraum und die Toilette eine halbe Etage tiefer. Genial. Und das meine ich ernst.

Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich wirklich frei, wenn auch meist chronisch pleite.

Egal. Es war mit die schönste Zeit meines Lebens.

Damals stand die Mauer noch und ich bezeichne mich gern als Zeitzeuge, als sie 1989  fiel.

Meine Freunde sagen, dass ich mich mit dieser Äußerung besser zurückhalten soll. Warum? 

Weil die stille Revolution, wie sie oft genannt wird, so still war, dass ich sie nicht mitbekommen habe.

Einzig die Bananenschalen, die am Tag danach überall herumlagen, bekamen meine, zwar verständnislose, aber ungeteilte Aufmerksamkeit.

Ich weiß, der ein oder andere Leser wird jetzt befremdet den Kopf schütteln, aber meine Prioritäten waren damals einfach anderweitig verteilt. So what!

 

Jetzt, nach sechundreißig Jahren ist wieder Zeit für einen Standortwechsel, mit allem was dazugehört. 

Der Mietvertrag einer kleinen Wohnung mit herrlichen Ausblick, ist unterschrieben, und der  bolsenische Wohnungsschlüssel hängt in der Küche an der Pinnwand.

Ich habe angefangen Bücher zu verschenken und Klamotten auszumisten. Sogar einige Kartons sind gepackt, obwohl wir noch fast drei Monate Zeit haben. 

Ich möchte mich langsam verabschieden und meine Lieblingsstadt hat es verdient, dass ich dabei präsent bin.

Ich erinnere mich genau an den Moment, als mir klar wurde, dass es Zeit war aufzubrechen.

Ich war gerade vom Einkauf zurückgekommen und stieg aus dem Auto.

Unser Katze hatte kurz zuvor, beinahe den Zwergspitz der Nachbarn geschreddert und meine Laune war nicht gerade die beste, als ich den kleinen gepflasterten Weg, der zu unserem Haus führt, entlanglief.

Da fällt mein Blick auf die großen Eichen die, etwas entfernt am Straßenrand, Spalier stehen. Sie sehen aus wie gigantische Wächter.

Plötzlich ist er da, der magische Moment:

Ein Geistesblitz durchzuckt meinen Körper, sinkt wie ein brennender Funke in die Tiefe und hinterlässt eine große Stille, die mich sofort besänftigt.

Wow!!!!

Einige, wenige Schritte trage ich diese Eingebung mit mir herum, bevor ich sie vorsichtig meinem Mann mitteile, der in der Küche konzentriert sein Schnitzel klopft.

"Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir hier weggehen." 

Er hält inne, dreht sich langsam zu mir herum und sagt, (ich bekomme immer noch Gänsehaut, während ich diese Worte schreibe)

"La stessa cosa ho pensato anch'io in questo momento."

"Genau das Gleiche habe ich auch gerade gedacht."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kommentare: 8
  • #8

    Steffi (Freitag, 25 Oktober 2019 10:14)

    Danke für den schönen Einblick in dein Leben und Denken

  • #7

    Dorothea Flechsig (Donnerstag, 24 Oktober 2019 13:22)

    Sehr interessanter Blog. Ich wünsche dir und Massimo alles Gute und hoffe, dass ich hier noch viel lesen darf. Herzliche Grüße
    Dorothea

  • #6

    Suzette (Donnerstag, 24 Oktober 2019 09:45)

    Schön

  • #5

    Monika (Mittwoch, 23 Oktober 2019 20:38)

    Es ist schade, dass Du/Ihr geht - aber ich freu mich sehr für Dich/Euch, und es wird sicher traumhaft.

  • #4

    Katjabeth (Dienstag, 22 Oktober 2019 20:41)

    Wie schön Du über Berlin schreibst! Und: Ich liebe das charmante Zitat Deiner Schwiegermutter. Bitte immer schön weiterschreiben.

  • #3

    Sabri (Dienstag, 22 Oktober 2019 17:44)

    Anch‘io non vedo l‘ora di leggere il seguito, anche perché spero che ci sia la narrazione della visita che ti farò in primavera! E non sarò triste, (almeno apparentemente), ma felice per te che intraprendi una nuova avventura!

  • #2

    Monika (Dienstag, 22 Oktober 2019 17:00)

    Ich freue mich auch auf die Fortsetzung, werde aber auch sicher mit jeder Fortsetzung trauriger, weil damit auch der Abschied näher rückt...

  • #1

    Malou (Dienstag, 22 Oktober 2019 15:53)

    Ich freue mich auf die Fortsetzung...ich kann es so gut mitfühlen!