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Ein geweihter Moment

Ich mag die Zeit um Weihnachten nicht besonders.

Der Einkaufstrubel, feudale Festmahle mit elitärem Gejammere und Menschen, die mich nach meinen Vorsätzen für das Neue Jahr fragen.

Und doch gibt es, in dieser Zeit, Momente, die mich verzaubern.

 

Ich wuchs in einem kleinen Ort in Nordbayern auf und dort war es üblich, dass man an den Sonn- und Feiertagen zur Kirche ging.

Notgedrungen kleidete ich mich in meinen Sonntagsstaat, bestieg mit dem Geleit der Glocken die Kirchentreppen und setzte mich, in der Kirche angekommen, gehorsam zu den Frauen auf die linke Seite des Mittelganges. Um die sündige Nähe zwischen den Geschlechtern zu vermeiden gab es eine getrennte Sitzordnung, weshalb die Männer sich rechts vom Mittelgang einzufinden hatten.

Unser Pfarrer war eine dunkle, drohende Erscheinung mit strengen, staubigen Lippen und roten Fingerkuppen auf  milchweißen Fingern.

Stop! Lächeln verboten, schienen sie zu sagen, wenn er die Hände zum Gebet erhob.

Mein kindlicher Nackenflaum stellte sich auf, wenn seine Stimme anschwoll und von den Wänden dröhnte, die mit einem blutenden Jesus bemalt waren.

Sein grober Singsang schien sich in den toupierten Haaren der Frauen zu verfangen, kroch in die Kniekehlen der Männer, um schließlich vielschichtig in der Empore zu expandieren.

 

Ich strebte nach einem Platz außerhalb der Sichtweise meines Vaters, so dass er nicht sehen konnte, wie ich derweil mit Gebetsbildchen handelte. 

Ich versuchte vergeblich  Dürers "betende Hände" gegen Leonardos "letztes Abendmahl" einzutauschen.

Die Bleistiftzeichnung mit den faltigen Extremitäten stand nicht so hoch im Kurs wie Da Vincis farbige Explosion auf Glanzpapier. Ich war verrückt nach diesem Bild und so kam es, dass das Geld, Geld, welches mir meine Mutter für den Klingelbeutel mitgegeben hatte, der "Kunst" zum Opfer fiel.

Endlich konnte ich es mein eigen nennen und fortan gab es keinen Grund mehr, eine Messe zu besuchen.

Mit einer Ausnahme: Heiligabend.

Dann,

wenn alle Lichter ausgehen.

stille Kerzen ihren Glanz in den Raum schicken und

die Orgel flammend zu spielen beginnt,

'Stille Nacht, Heilige Nacht' 

 

Ich sehe nichts, höre nur Stimmen,

mit solch einer Sehnsucht erfüllt,

dass sie zum 'EinKlang' werden.

 

Ein geweihter Moment,

'WeihNacht'

 

Ich habe keine Vorsätze für das Neue Jahr.